Rosario Buccellato

"Zu meiner Malerei ist zu sagen: Mehr Opulenz, wie sie in der unberührten Natur zu betrachten ist,
liegt meinem Impuls näher, als eine angeeignete 'Un'-Sentimentalität."

Malerei

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Collage

Gespräch mit Rosario Buccellato

Wir begeben uns in einen Vorgang des apperzeptiven Erkennens, in eine Sinnenwelt die andersartig ist, jedoch alle Wahrnehmungsprozesse enthält. Die Imagination ist das Erspüren von Dingen unter den Augenlidern, wenn sie geschlossen sind. Sie ist eine anatomische Untersuchung, in welcher der Mensch sich selbst seziert, von dem ausgehend, was er fassbar zu greifen glaubte, eine parallele Andersartigkeit eröffnet zu dem, was in seinem Gedächtnis blieb, was in die Optik des Sehenden flüchtig hineinglitt und so sich letztlich unter der scheinbaren Dunkelheit verfremdet. Die Eindrücke aktivieren das Gedächtnis derart, das sie durch die Vorstellungskraft eine Übertreibung evozieren, welche die Suggestion ist, die E. Delacroix und T. Géricault in die französische Malerei des XIX Jahrhunderts eingeführt haben.

So deckt der Künstler Rosario Buccellato die Dinge auf, sie erst unter einem Tuch wahrend, darunter die Transsubstantiation geschieht, wie aus seinen zahlreichen Studien zu Tüchern und Stoffen abzusehen ist (wie zum Beispiel „Stillleben mit Tuch“, Öl auf Leinwand, 80 ×100 cm, 2019 oder „Weißes Tuch“, Öl auf Leinwand, 80 ×100 cm, 2019 etc.). Laken, Stoffe, die ihm als aleatorische Versuchsobjekte dienen, stets die Utensilien umgebend, auf die sein Blick unwillkürlich fällt, sowie das eigene Maltuch, an dem er seine Pinsel reinigt, das er als den täglichsten Gegenstand aus der Truhe seines Gedächtnisses zückt. Er untersucht nicht so sehr die Beschaffenheit, sondern vielmehr das Verborgene, das was hinter ihnen versteckt zu sein scheint. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um das Hindrängen zu einer Auslegung von Allegorien, wie in flämischen Nature Morts, sondern eine Frage die sich durch den gemachten Fang des imaginierten Bildes im Malerischen Vorgang selbst erschließt; durch die Anlehnung an den Begriff der Renaissance disegno, der nach einer italienischen Auffassung, die Prozesse des Denkens, der Schau, und der Zeichnung in ihrer Gleichzeitigkeit ausdrückt.

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Jenes Bemühen um die Unmittelbarkeit, das Hinwerfen aus dem Zustrom von Imagination und Gestalt, welche ihm zufällig zufallen lehnt sich über die Kluft von Stilisierungen, Klassizismus, Nostalgie, Romantisierung weit hinaus. Die Brechung durch zerdachte Theorien, Verkopftheiten werden umgangen, um den Raum dergestalt für das Erscheinen auszudehnen. Da ersteht der Mensch selbst, seine Figur, ganze Natur, wie sie der Schöpfung nach geschichtet ist. Die Plastizität ist beherrscht von der Imagination, richtet sich nach ihr und ist hier nicht bloße Idee der technischen Imitation. Die naturalistische Übertragung geschieht also in der Anschauung selbst, welche durch den Maler wirkt, mittels der Methoden, die ihm bislang zur Verfügung standen. Die Instrumente werden nach den soeben eingegebenen Klängen eingesetzt und das Arrangement baut sich um die Symphonie ...

Aus was nun, fragt es sich, ist diese Gefühlswelt gewoben? In seinem Atelier erhallen diaphone Töne: Schönberg, Salvatore Sciarrino, Wolfgang Riem, Stockhausen in Abwechselung zu Impressionisten und Neuer Musik C. Saint-Saens, Debussy, G. Mahler. Woher stammen die Verformungen, die metaphorischen Kurven in der Synchronizität von Schau – Farbe – Gedanke – Linie? Die Poesie der deutschen Klassik und Romantik, über Philosophen wie Hans Bumenberg und sicherlich hinzu aus einem theologischen Weltbild, den Präfigurationen biblisch geprägter Kindheit, bestehend aus fiktionalen Geschichten und Zeichen, welche so unglaubhaft sind, dass sie fassbar werden. Nicht selten ist dieser Ordnungssinn in einem Atelier, wie seinem, sakral ausgelegt für eine Liturgie. So mag sich ein Kind in seinem Zimmer die Bilder in die Luft spinnen, welche er hört, es gibt für ihn kaum ein Hindernis für die Erschaffung von Luftgespinsten aus dem Wort, welches tief in der Höhle seiner Ohrmuschel fiel.

Jedoch lange nach diesem Zeitpunkt begann erst seine wirkliche Liebe zu Italien, aus einer Ferne zurück, als eine Erinnerung, die notwendig, da man in der Gewohnheit ausharrt, aus dem Grund aufsteigt. Sicherlich ist es auch Deutschland zu eigen, das vor soviel Überschwang an Italiensehnsucht, sich Vorort befindend, unwillkürlich von ihr ergriffen wird. Doch diese Sehnsucht ist anderer Art: Andrea Mantegna, Masaccio, aus deren perspektivischem Raum, welcher den Betrachter vereinnahmt, er nie austrat; die Rezeption Caravaggios, den er zu seinen Zeitgenossen zählt. Für eine Herausbildung einer Vision braucht die Vorstellung eine karge Wüste. Nach einer Reise durch das südlichste Mittelgebirge von Südafrika, welches in seinem Radius vierhundert Kilometer braches Land zeichnet, entstanden die sogenannten „Wurzelbilder“ aus dem Jahr 2000, welche uns zum ursprünglichen Gedanken seines Schaffens führen – die Entstehung von Wurzelwerk in einer Ödnis, welche notwendig aus der Vorstellung drängen muss, um sie zu einem Wachstum aus sich herauszufordern und die lebendige Essenz der Imagination daraus zu extrahieren.

In diesem Kampf gegen eine opulente Wirklichkeit der unendlichen Eindrücke, welche sich in einer Geschwindigkeit multiplizieren, die das visuelle Vermögen in einem Unterdruck aushält, währt sich ein Mensch, der sein Auge enthaltsam macht für die Gestalten die aus einer Anstrengung der Selbstüberwindung zu ihm strömen. An dieser Stelle sei ein Auszug aus Rilkes Gedicht „der Schauende“ angeführt:

(...)Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit uns ringt, wie ist das groß; ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen, – wir würden weit und namenlos. Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein. Das Ewige und Ungemeine will nicht von uns gebogen sein.

Das ist der Engel, der den Ringern des Alten Testaments erschien: wenn seiner Widersacher Sehnen im Kampfe sich metallen dehnen, fühlt er sie unter seinen Fingern wie Saiten tiefer Melodien.

Wen dieser Engel überwand, welcher so oft auf Kampf verzichtet, der geht gerecht und aufgerichtet und groß aus jener harten Hand, die sich, wie formend, an ihn schmiegte. Die Siege laden ihn nicht ein. Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte von immer Größerem zu sein.

Das Wachstum des Tiefbesiegten liegt hier in der Umkehrung des wahrgenommenen Bildes. Jene Fixsterne der Vorstellungswelt halten sich ruhig und nüchtern über dem wirren Bilderstrom der Zivilisation. Wie eine neurotische Zuwehrsetzung scheint uns diese Flut, gegen alles was Pathos, Dramaturgie, Stille, Sinnlichkeit ist und kehrt unsere Vorstellungswelt nach außen um in ein Diktat der Unordnung, des Chaos, welches der Malerei auferlegt wurde, welche ihrerseits bestimmt dazu ist eine Freiheit dort entstehen zu lassen, wo der Innendruck des Vakuums nahezu in seiner Auflösung begriffen ist. Ein Zeugnis dieser Spannung ist das Bild „Des Engels Ringen hier auf Erden“. Er bietet hier den synergetischen Dialog mit einer Parallelwelt der illusionierten Andersartigkeit zu dem an, was bereits Illusion ist. Was die Malerei in seinem Verständnis ist? „Jene Fragen nach dem Menschen nicht als Rätsel zu erachten, sondern sie aufzudecken mittels imaginärer Kraft.“ Die Antwort enthüllt sich, sobald der Hintergrund des Fragenden bloß liegt.

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„Kunstklatsche“, 2018, Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm, gezeigt wird ein Ausschnitt

„Mir ist das Spielen nicht abhanden gekommen.“ - Rosario Buccellato

Der sizilianische Maler Rosario Buccellato ist seiner Malerei nach in unserer Epoche nicht einzuordnen, da diese sich zu einer Synthese aus der stilistischen Tradition seiner Herkunft und der autonomen Eigenheit eines derzeit lebenden Künstlers zusammensetzt. Ein forschender Handwerker, der uns den mystischen Allegorismus in einen zeitgemäßen Dialog übersetzt ( empirische Begriffe, welche personifiziert und verbildlicht werden) und die Bilder eines Veronese, Tintoretto oder sogar eines Di Chirico vergegenwärtigt. Man verfolgt durch sein Oeuvre hindurch einen Bezug zu Caravaggio, den Lichtstrahl, der in die Katakomben fällt, die Figuren scharf absetzt, jedoch sich in dem undefinierbaren Dunkel auflöst. 2018. Aus dem schlichten und bescheidenen Naturell dieses Malers wird ein komplexes Raumkontinuum geboren, in der Überreste unserer Zivilisation schweben: Ein Pferdekopf, ein Bilderrahmen, Türen, ein Frauenakt, eine Drapperie etc. Er ist ein Jongleur von konkreten naturalistischen Motiven, doch in einem luftleerem Raum, welcher ihm immer aufs Neue die Vielfalt des Komponierens möglich macht. Er vereint Trompe l‘oeil mit einer perspektivisch ausgerichteten Paysage, ein Nature Morte ohne Schatten, auf monochromer Farbfläche.

Buccellato stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater ein Schuhmacher, seine Mutter eine Schneiderin, und er selbst erlangte durch eigensinniges Bemühen die Techniken der klassischen Malerei.

Ein surrealer, phantasmagorischer Eindruck entsteht, angestimmt von einem sakralen Gesang aus dem Jenseits. Die Leinwand ist für ihn ein noch nicht- existenter Kosmos, der dienlich wird für die Hand des Malers einen Abriss seiner Erinnerungen und augenblicklichen Visionen, Träumereien hineinzuwerfen, und sie dann selbstständig weiterleben zu lassen. Eine klassische Drapperie zu malen, die in seinen Bildern ein leitendes Attribut ist, ein Tuch über einen Körper oder Gegenstand fallen zu lassen und damit das Geheimnis des Unsichtbaren ruhen zu lassen. Also das Heilige dadurch zu sublimieren, dass es den Augen vorenthalten wird und das Darunterliegende ein Mysterium bleibt. (Weißes Tuch. Öl auf Leinwand; 80×100cm; 2019) Womöglich ist auch unter dem Tuch die Leere oder ein Traum der im Begriff ist, sich in der Decke des Schlafenden zu verflüchtigen, darin zu zerfließen.

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Wir stehen vor den Gemälden Buccellatos einer Inszenierung des Zufalls gegenüber, einem verschachtelten Bühnenbild, aus dem die Philosophie eines Menschen spricht, der im Gedächtnis jene erloschenen Gestalten behält, die sich nun in ihrer gestreuten Konstellation leicht zu einem Sinn verbinden, wobei dieses Spiel der Malerei selbst überlassen wird. Er rührt die Körper aus seiner Phantasie nur an, und sie beginnen mit ihren Schatten den Handlungsakt in dämmerhafter Landschaft.

Des Künstlers Credo lautet „sakrale-profane“, was bedeutet, dass das Geistige in seiner Blöße, also in der nicht- ritualisierten Ausdrucksform, keine Konventionen kennt und lediglich ephemer, durchsichtig ist. Dabei folgt er bewusst einer traditionellen Linie und greift die Methoden der Ölmalerei alter Meister auf, um den Bezug zum Grazilen zu erhalten und die antike Welt der Mythen, Dichtungen und Allegorien des Quattrocento und Cinquecento wiederauferstehen zu lassen. Eine Drapperie die das verborgene Heilige von alters her symbolisiert, lässt einen Akt von zärtlicher Erotik und Weiblichkeit herauslesen. (Caravaggio der Schlaf und Snejana; Öl auf Leinwand 200 ×300cm 2018)

Das Profane im Verhältnis zum Sakralen ist eine feine Schwelle auf der sich spiritueller Gehalt von religiösem Ballast und historischer Schwere eines europäisch- christlichen Bewusstseins befreit. Hierbei stellen wir Berührungspunkte mit dem Zeitalter der Säkularisierung fest, in dem die fanatische Bindung zur Kirche gelockert wurde, und der Geist des Menschen jener Epoche aus den Strängen der politisierten Kirche löste. So sehen wir zugleich eine tiefe Verbundenheit zu biblischen Inhalten, jedoch aus natürlicher und humanistischer Sicht, mit einer Hommage an das Altertum mit seinen Körperkulten („ Jesus ist ein Künstler“ Tuschezeichnung). Fragmentale Gliedmaßen lassen an den Zerfall des heutigen Menschen denken und wiederum scheint ein anregender Reiz eines weiblichen Torso unter dem Tuch hervor, der uns an das ersichtlich Schöne erinnert. Wir entdecken lyrische, ja ironisierende Krypta auf seinen Zeichnungen und Gemälden. Ein Verweis auf das zum Bild entfachende, fleischwerdende Wort („benedictus qui venit“ Öl auf Leinwand 175×200cm 2018).

Er ist einer der seltenen Fälle in der Malerei der heutigen Zeit, die sich einreihen in eine jahrhundertelange Überlieferung jener Fertigkeit, Figur und Gegenstand aus der imaginativen Welt der Eingebungen heraufzubeschwören und herrschend diese zu betrachten. In einer Zeit, da die gegenständliche Malerei, aufgrund einer verflachten Anthropologie, Menschenbildes, Werte- und Naturzerfalls übersehen und verpönt wird.

Figurative Malerei droht nach einem umwälzenden Herbst des vergangenen Jahrhunderts außer Acht gelassen und die vier Disziplinen der Künste durch die Technisierung ersetzt zu werden. Jedoch scheint man aus den Bildern Buccellatos einen Rückblick auf eine ewige, fortwährende Vergangenheit zu erspähen und durch sie einer monumentalen Wahrheit verpflichtet zu sein.

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„mir ist das spielen nicht abhanden gekommen“ Öl LEINWAND 80×60, 2019, gezeigt wird ein Ausschnitt