Techniken des Zufalls

Zur Ausstellung Casualitá von Rosario Buccellato

Ein Bulle stürzt kopfüber auf den Betrachter zu. Eine phantastische Architektur ragt in den Himmel. Ist sie bewohnbar? Eine nackte Frau erwartet ihren Liebhaber, oder hat er sie schon wieder verlassen? Muslima im Wasserstrudel oder im Wirbelsturm? Ein Wolf, ein Gnu, ein Pferd, ein Tiger, ein Huhn, ein Storch, ein toter Sperling. Ein schlafender Obdachloser und andere Menschen mit abgewandtem Blick. Nichts scheint in diesen Bildern zu stimmen: Perspektiven, Größenverhältnisse, Situationen, die sich nicht auflösen lassen, Endzeitszenarien? Einige Bilder erinnern an Stillleben, allerdings nicht wohlgeordnet mit Vanitas-Motiv, sondern eher lassen sie an eine aus den Fugen geratene Ordnung denken, an eine Welt, in der es keine Zusammenhänge mehr gibt. Casualita, Zufall als Prinzip der Beziehungslosigkeit. Zufall als Leugnung, dass alles mit allem zusammenhängt. Diese Bilder verneinen jegliche Sicherheit. Sicherheit braucht Planbarkeit und Ordnung und Vorhersehbarkeit. In diesen Bildern jedoch geschehen Dinge und spielen sich Situationen ab, die kein Mensch sich ausdenken kann.

Von „Techniken des Zufalls“ zu sprechen, scheint ein Widerspruch zu sein. Die Berechenbarkeit, die Wiederholbarkeit, das Rationale der Technik im Allgemeinen wollen und müssen den Zufall geradezu ausschließen, denn er gefährdet die planmäßigen und zweckgerichteten Abläufe. Glücksfälle und Unglücksfälle sind wir in aller Regel geneigt, als Zufall zu deuten, als etwas, das unvorhersehbar und ohne ersichtliche Ursache geschehen ist oder geschieht, was sich als wirkungsvoll oder als wirkungslos erweisen kann. Jedenfalls geschieht der Zufall, er kann gerade nicht erzeugt werden und schon gar nicht auf technischem Weg. Bezieht man sich jedoch auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Technik“, auf „Kunst“ oder „Kunstfertigkeit“, also auf Formen menschlicher Geschicklichkeit und menschlichen Gestaltungskönnens, dann ist es sinn- und reizvoll, den eben beschriebenen Widerspruch weiter auszubuchstabieren. Für einen bildorientierten Künstler wie Rosario Buccellato dürfte „Zufall“ zunächst eine Frage der aufmerksamen Wahrnehmung sein: Zufall ist das dem Künstler aus seiner inneren und äußeren Welt Zufallende: das Bild, die Szene, die Begegnung, die Wahrnehmung im Vorübergehen. Seinen bildlichen Inspirationen und Intuitionenfolgend und diese gestaltend, gelangt der Künstler zur Technik der Collage. Ganz im Sinne des Sprichwortes „hilft“ er hier „dem Zufall auf die Sprünge“. Er kombiniert Gefundenes, Eigenes und Fremdes. Die Collage als gelenkter Zufall, um über einen neuen Kontext einen neuen Sinn zu erzeugen: Menschen in gestörter Kommunikation und ohne festen Boden unter den Füßen, Tiere in verschiedenen Funktionen, meist jedoch vom Menschen unabhängig, Perspektiven und Perspektivlosigkeiten. Keine andere Technik als die Lasurmalerei kann der Neuartigkeit der motivischen Zusammenstellungen besser entsprechen: Als Schichtenmalerei erzeugt sie transparente Farbübergänge, nie lässt sich in der Intensivierung und in der Hell-Dunkel-Gestaltung die Tönung vorher genau bestimmen, und die Schaffung neuer Farbtöne, bedingt durch die Anzahl der Schichten, ist geradezu Inbegriff einer Technik des Zufalls. Wie erzeugt der Künstler in seinen Bildern neue Kontexte? In vielen Bildern durch Textilien: Stoffbahnen, Vorhänge und Kleidungsstücke gliedern die Gemälde, sie verbergen und zeigen. Sie stellen Zusammenhänge her zwischen dem Unzusammenhängenden Stoff-Wechsel durch Kunst.

Wahrnehmung und Gestaltung der Casualita, des Zufälligen, heißt bei Rosario Buccellato in erster Linie, dass er Stimmigkeiten sieht, die zunächst nur er erkennt: formal, perspektivisch, kompositorisch und motivisch. Diese in der Collage gefundene und in der Malerei ausgeformte Stimmigkeit basiert auf dem Wissen oder auf der Gewissheit des Künstlers, dass im Zufälligen etwas aufscheint, was über den Sinn des Planbaren und Vorhersehbaren hinausweist. So gesehen, behaupten die Bilder Buccellatos tiefere (oder höhere?) Zusammenhänge als die in unserer Welt offenkundigen. Diese Bilder sind keine Zufallstreffer, vielmehr treffen und fixieren sie den Zufall in seiner Einmaligkeit. Dabei ist ihre Stimmigkeit nicht zu verwechseln mit neuer Ordnung, Harmonie oder gar Glück. Dass die Bilder von Rosario Buccellato so stimmig sind, ist das Beunruhigende an ihnen.

Dr. Hermann Ühlein